M. Andreas Hartmann
Pfarrer zu Döffingen, anno 1714

Wahrhaftige und mit vielen glaubwürdigen Zeugen bewährte Relation, was sich zu Döffingen HochFürstl. Würtembergischen Herrschaft, und Böblinger Amts, mit Zwey besessenen Weibs-Personen im Monath Dezember 1714 merklich zugetragen hat.
Zur Ehre des Drei-einigen Gottes, und des Teufels-Reich Zerstörung, zur Aufweckung der Sichern, und Stärkung glaubiger Seelen ans Licht gebracht.


Der hier von Pfarrer M. Andreas Hartmann geschilderte Fall zweier besessener Frauen, Mutter Elisabetha Dolbers und ihrer Stieftocher Ursula, trug sich zu im Armen-Haus des Ortes Döffingen, sowie in der entsprechenden Kirche, der heutigen Martinskriche.

Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, vielleicht sogar einzigartig: Zur Heilung der Besessenen läßt der mutige Pfarrer Hartmann die eine Frau in die Kirche bringen, auch wenn sie tobt, von mehreren Männern kaum zu halten ist. Man erinnere sich, daß gerade bei Besessenen, die von einem Dämon besessen sind, ganz außergewöhnliche Körperkräfte im Spiele sein können, so daß sogar Ketten zerrissen werden.
Der Kampf mit dem Teufel, der in der Mutter, der Elisabetha steckt, wird vor aller Augen in der Kirche von Döffingen geführt, mit allem, was dazugehört, so daß auch starken Gemütern dabei Angst und Bange werden kann.
Wer dabei war, dem wird das Geschehen bis ans Lebensende unvergeßlich geblieben sein!

Pfarrer Hartmann ist mutig genug, das Geschehen, auch die Befreiung der Stieftochter Ursula in der gleichen Zeit im Dezember 1714, in seiner Haus Postill 1715 in den Druck zu geben, und dann auch noch als Flugschrift im Jahre 1716, in mindestens zwei verschiedenen Auflagen, zu 24 und zu 32 Seiten. Allein die Flugschriften dürften eine gewisse allgemeine Verbreitung im Volk gefunden haben, in Döffingen allemal. Da praktisch die gesamte Döfflinger Gemeinde Zeuge des Geschehens war, wie Hartmann sogar im Titel der Schrift aufführt, so kann es gar nicht anders sein, als daß sich die Heilung der Besessenen auch so zugetragen haben muß – alles andere hätte dem Pfarrer das Amt gekostet.
Die Festigkeit und Klarheit, mit der Pfarrer Hartmann hier dem Teufel entgegentritt, der von einer Frau Besitz ergriffen hat, sind staunenswert, bewunderungswürdig, wie auch der Mut, sich mit der Drucklegung derart zu exponieren.
Wir können Pfarrer Hartmann sehr dankbar sein. In der „Relation“ werden auch die Äußerungen des besetzenden Teufels dokumentiert, und diese sind sehr erhellend, zumal die interessantesten Äußerungen ganz offensichtlich nicht freiwillig erfolgen, sondern wie unter Zwang „vom starken Gott“ regelrecht erpreßt werden.
Nach deutschem Strafrecht und modernem europäischem Rechtsverständnis wären solche Geständnisse unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen, in welcher Form auch immer, natürlich wertlos, im Verfahren nicht verwendbar. Auch fehlt uns zur Zeit jeder Einblick in die Dynamik, in die Machtverhältnisse, die hier eine Rolle spielen, die Macht des die Elisabetha kontrollierenden Teufels, der von ihrem Körper und ihrem Geist, zumindest phasenweise, vollig Besitz ergriffen hat, und einer offenbar höherstehenden Kraft, ein „starker Gott“, wie sich der Teufel aus dem Mund der Elisabetha ausdrückt, eine Kraft, die ganz offenbar auch dem irdischen Einfluß- und Herrschaftsbereich des Teufels Schranken setzt, z. B. gegenüber unschuldigen Kindern, oder ihn stumm machen kann, wenn der Pfarrer dies gebietet, im Namen Jesu.
Die behutsame Erforschung der hier ablaufenden Prozesse, sie ist einer späteren Zeit vorbehalten – diese kann keinesfalls an den heute immer noch durch und durch korrumpierten Universitäten ablaufen, die vom Mammon bzw. den Verbänden der Lobbyisten beherrscht werden. Da werden sich andere Institutionen, vielleicht aus dem Umfeld der Kirchen, in ferner Zeit einmal dieses Themas annehemen.

Die Frage der „Beweiskraft“ der hier in den Druck gegebenen „Relation“ stellt sich nicht – sie hat die gleiche Beweiskraft wie die Berichte aus dem Leben Jesu: Man kann daran glauben, aber man muß es nicht. Denjenigen unter uns, die gerne irgendwelche „Beweise“ für etwas in den Händen halten würden: für die Leute solchen Schlages wären auch Videoaufnahmen in 4K kein ausreichender Beweis, denn die ganzen Szenen können ja alle gestellt sein, inkl. des Rasens der beiden Frauen, der Gemeinde, die hier zum Teil auf den Knien in der Kirche zu Gott um Hilfe betet, singt, den krachenden Dialogen zwischen Teufel und Pfarrer, sogar das Sprechen in fremden Sprachen, auch das könnte ja alles „gefakt“ sein – wer weiß?
Auch hier gilt, Matth. 11, 25: „Zu der Zeit antwortete Jesus und sprach: Ich preise dich, Vater und HERR Himmels und der Erde, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“
Für diejenigen unter den Lesern, die den Bericht mit der gleichen atemlosen Spannung lesen wie der Herausgeber, möchte ich noch hinweisen auf die besonders lehrreichen Stellen, zum Vorschlag des Teufels zum Einbehalten der Almosen, das Geld dann am besten ausgegeben für Spitzen, zur Hofart, zur (unterbliebenen) Hurerei des Pfarrers, zu den verblüffenden Aussagen des Teufels über unsere bösen und guten Gedanken (wo konnte man das bisher erfahren? nirgends!), zur Unantastbarkeit der Kinder, zur Stellung des Menschen zu Gott (wer nicht Ihm gehört, ist mein), etc., etc.
Der Herausgeber verdankt den Hinweis auf dieses wirklich einzigartige Dokument dem (unbekannten) Autor des Beitrages in den Pastoral-Blättern, 1863. Der Autor hält sich im Hintergrund, wird vom Herausgeber ein „lieber Mitarbeiter“ genannt, und ist ohne Zweifel von ganz außergewöhnlicher Belesenheit in den alten Quellen der Kirche.
Der hier vorliegende Text der "Relation" wird in 2022 auch als Heft erscheinen, voraussichtlich in zwei Ausgaben:

a) als unveränderter Nachdruck, mit 24 Seiten

b) als kommentierte Ausgabe, mit je einer Seite der Flugschrift, und einem erläuternden Kommentar des Herausgebers auf der gegenüberliegenden Seite.
Wer möchte, kann eine der genannten Ausgaben beim Reichl Verlag in St. Goar unter Tel. 064741-1720 schon heute vorbestellen – wir merken vor und liefern nach Erscheinen.

Lübeck, 12. Juli 2021,
Matthias Dräger
https://archiv.ub.uni-marburg.de/ubfind/Record/urn:nbn:de:hebis:04-eb2014-0011/Holdings#tabnav
Aus der Haus-Postill von Pfarrer M. Andreas Hartmann, posthume Auflage 1760; 1. Aufl. 1716